Stress bei Kaninchen

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Allgemeines
Stress ist der Vorgang, auf einen bestimmten ungewöhnlichen Faktor zu reagieren und anschließend ggf. sein Verhalten diesbezüglich zu ändern. Stress kann demnach positiv oder negativ sein. Positiver Stress ist ein freudiges Erlebnis, welches mit Aufregung einhergeht. Zum Beispiel, wenn die Kaninchen nach einem langen Winter wieder Wiese bekommen oder die Möglichkeit zu einem zusätzlichen Freilauf bekommen. Positiver Stress ist wichtig, um einem langweiligen Leben vorzubeugen, aber darauf sollten stets Ruhephasen zur Regeneration folgen. Negativer Stress hingegen wird als unangenehm empfunden und kann zu etlichen psychischen und physischen Schäden führen. Weiterhin unterscheidet man zwischen akutem und chronischem Stress. Tritt eine akut stressige Situation auf, wird Adrenalin ausgeschüttet und das Kaninchen kann (wie wir Menschen) schneller reagieren und ist für eine Flucht oder einen Kampf gewappnet. Gibt es keine Möglichkeit der Regeneration, kann dies zum chronischen Stress führen.

Im Folgenden soll es um den akuten oder chronischen negativen Stress gehen.

Stressauslöser
Kaninchen sind von Natur aus neugierig und – bedenkt man ihre zahlreichen Fressfeinde – recht mutig. Jedoch gibt es verschiedene Situationen, die Kaninchen kurz- oder langfristig massiv stressen und ihre kleine Welt erschüttern.

Ortswechsel
Kaninchen sind sehr reviertreue Tiere, demnach bedeutet ein Ortswechsel immer Stress. Sie kennen sich in der neuen Umgebung nicht aus, wissen nicht, ob und wie viele Fressfeinde dort sind, sind ggf. auch noch allein und weit weg von ihrem sicheren Bau/Gehege. Aus diesem Grund sollte der Ortswechsel nur dann stattfinden, wenn es keine andere Möglichkeit gibt bzw. dies langfristig besser für das Tier ist. Dies ist zum Beispiel beim Tierarzt der Fall. Sowohl der Transport, als auch die Zeit im Wartezimmer und auf dem Behandlungstisch sind beängstigend, jedoch für das Wohl des Tieres elementar. Unnötig sind Ortswechsel zu Messen, Ausstellungen, Kaninhop-Turnieren oder auch der Besuch bei anderen Kaninchen.

Alleinsein
Kaninchen sind sehr soziale Tiere und benötigen immer mindestens einen Partner. Hat das Kaninchen keinen Partner, an dem es sich orientieren kann und welches die Umgebung im Auge behält, während das Kaninchen selbst entspannt, ist es chronisch gestresst. Es ist in der Situation als Fluchttier mit vielen Fressfeinden rund um die Uhr auf sich selbst aufzupassen. Ein unachtsamer Moment kann den Tod bedeuten. Auch wenn unsere Heimtiere nicht mehr den Gefahren der Natur ausgesetzt sind, steckt dieses Verhalten noch tief in ihrer Psyche. Werden Kaninchen zu früh von der Mutter getrennt (unter 12 Wochen), leben allein oder haben einen Verlust des Partnertieres zu verkraften, gibt es nur eine Lösung: Das Kaninchen braucht mindestens einen (neuen) Partner. Weiteres zur Vergesellschaftung von Kaninchen hier.

Zwang
Kaninchen sind Fluchttiere und alles, was sie daran hindert, in ihr sicheres Versteck zu gelangen, verängstigt sie. Dazu zählt das unnötige Festhalten, Herumtragen und Zwangskuscheln, damit ist gemeint, dass das Kaninchen auf den Arm genommen oder irgendwo hineingesetzt wird, wo es nicht mehr flüchten kann und dort gestreichelt wird. Das Kaninchen hat keine andere Möglichkeit als diese Situation auszuhalten, zu erstarren oder anzugreifen. Ein liebevoller Umgang gibt den Kaninchen die Möglichkeit selbst zu entscheiden, ob sie gerade gestreichelt werden möchten oder nicht. Dazu begibt man sich zu ihnen, setzt sich auf den Boden und fängt vorsichtig an zu streicheln. Wenn das Kaninchen dies gerade nicht möchte, darf es selbstverständlich auch gehen. Zum Thema Zwang gehört auch wieder der Gang zum Tierarzt (s. o.) oder gesundheitliche Maßnahmen, wie das Zwangsfüttern oder Baden. Auch dies stresst die Tiere, ist jedoch für ihre Gesundheit wichtig. Nichts desto trotz sollten solche Maßnahmen nur dann stattfinden, wenn es einen medizinischen Grund gibt und mit so viel Ruhe und vorsichtigem Handling wie möglich.

Falsche Haltung
Kaninchen haben lange Hinterläufe, damit sie größere Strecken sprinten können. Zum einen dient dies dem Entkommen vor dem Fressfeind bis zum Bau und zum anderen brauchen Luft- und Freudensprünge mehr Platz als ein handelsüblicher Käfig bietet. Zu wenig Platz und keine Versteckmöglichkeiten nehmen dem Tier die Hoffnung, bei einem Angriff eines Fressfeindes Schutz zu suchen. Offene Flächen beim Auslauf ohne Versteckmöglichkeiten (zum Beispiel eine Gras- oder Wiesenfläche ohne Büsche, hohe Pflanzen und Bäumen) bieten ebenfalls für das Tier die Möglichkeit, von einem Greifvogel ohne Probleme ergriffen zu werden. Weiterhin leiden Kaninchen in Menschenobhut häufig an Langeweile, die ebenfalls stresst. In freier Wildbahn sind Kaninchen permanent damit beschäftigt, Futter zu suchen, ihre Höhlen auszubauen, Nachwuchs großzuziehen, Fressfeinden zu entkommen oder sie agieren sozial miteinander. In Gefangenschaft muss der Halter demnach für eine vielseitige und interessante Umgebung sorgen, sodass keine Langeweile aufkommt.

Sozialer Stress
Innerhalb einer Kaninchengruppe herrscht eine strenge Hierarchie. Dies mag für den Halter nicht immer schön sein, jedoch muss man akzeptieren, dass das Wesen der Kaninchen so ist. Eine Vergesellschaftung mit neuen Kaninchen bedeutet zwar auch Stress, in der Regel auch über ein paar Tage bzw. bis zum Ende der Zusammenführung, jedoch ist dies wichtig, um den Tieren ein möglichst artgerechtes Leben zu ermöglichen. Mit diesem Wissen kann man beruhigt während einer Vergesellschaftung ein paar Leckerlies mehr geben und sollte auf jeglichen zusätzlichen Stress verzichten. Wird ein Kaninchen aus der Gruppe jedoch über eine längere Zeit nach der Zusammenführung massiv ausgeschlossen und leidet sichtlich unter dieser Situation, sollte der Halter über eine andere Gruppenkonstellation nachdenken. Für die meisten Kaninchenhalter bedeutet dies eine zweite Gruppe, die Abgabe eines Tieres oder die Aufnahme eines weiteren Kaninchens. Grundsätzlich ist aber ein stabiles Gruppenverhältnis wichtig. Ebenfalls ist zu beobachten, dass weibliche Kaninchen in der (Schein-)trächtigkeit gestresst sind. Um ihren (vermeidlichen) Nachwuchs zu schützen, sind sie meistens aggressiver gegenüber den anderen Kaninchen und dem Halter. Tritt eine Scheinträchtigkeit bis zu zweimal jährlich auf, liegt dies noch im „normalen“ Bereich und der Halter sollte umsichtig mit dem Tier umgehen, weiteren Stress (wie das Entfernen des Nestes) vermeiden und genug Platz schaffen, damit sich die Tiere aus dem Weg gehen können. Treten vermehrt Scheinträchtigkeiten auf, sollte ein Tierarzt aufgesucht und über eine Kastration nachgedacht werden.

Krankheiten
Krankheiten, traumatische Erlebnisse (zum Beispiel in Tierversuchslaboren oder als Zuchthäsin) und Schmerzen stressen Kaninchen selbstverständlich ebenso wie uns Menschen. Bei ihnen kommt jedoch noch erschwerend dazu, dass sie sich meist erst sehr spät etwas anmerken lassen und still leiden. In freier Wildbahn dient dieses Verhalten dazu, von der Gruppe nicht ausgeschlossen zu werden und/oder ins Visier eines Fressfeindes zu geraten. Auch dieses Verhalten haben sich Kaninchen bewahrt. Für den Halter heißt dies, dass er seine Kaninchen täglich genau beobachten, sich mit den gängigsten Krankheiten und deren Symptomen auseinander setzen und lieber einmal zu viel als einmal zu wenig zum Tierarzt fahren sollte. Nur so können Krankheiten schnellstmöglich entdeckt und behandelt werden.

Außerdem
…sollten jegliche hektische Bewegungen, sowie laute und plötzliche Geräusche vermieden werden, um das Tier nicht unnötig zu verängstigen. Kaninchen sollte man sich stehts vorsichtig, langsam und behutsam nähern, so verlieren sie auch die Angst vor ihrem Halter. Natürlich darf mit den Kaninchen gesprochen werden, aber leise und beruhigend. Weiterhin ist das richtige Hochheben wichtig, dazu zählt nicht der „Raubvogelgriff“, also das schnelle Greifen direkt von oben.

Stressanzeichen
Wie bereits erwähnt, zeigen Kaninchen nicht gerne, dass es ihnen nicht gut geht. Das heißt jedoch nicht, dass sie nicht leiden! Bei Stress können sie typische Angstsymptome wie schnellere Atmung, oder weit aufgerissene Augen zeigen, aber auch das Klopfen mit den Hinterläufen ist kein Zeichen, dass es dem Kaninchen gut geht. Im Gegenteil. Wittert das Tier Gefahr, möchte es seine Artgenossen warnen. Das Klopfen ist deshalb so geeignet, da man es sowohl oberirdisch als auch in tiefen Bauten deutlich hören kann. In der Regel klopfen Kaninchen, wenn sie ein Geräusch gehört haben, welches sie nicht zuordnen können oder in der Vergangenheit bereits Angst ausgelöst hat. Chronischer Stress hingegen führt zu Nervosität, Apathie, ängstlichem oder aggressiven Verhalten, sowie zwanghaften oder bewegungsstereotypischen Verhalten bis hin zur Selbstverstümmelung. Das Kaninchen zeigt deutlich weniger ausgelassene Freudensprünge oder entspannende und regenerierende (Tief-)schlafphasen. Viele Kaninchen leiden jedoch still oder ihre „Hilferufe“ werden nicht erhört. Weiteres dazu hier.

Folgen
Die Folgen, vor allem von chronischem Stress können sehr vielseitig sein. Diese können sich im Verhalten (s. o.), aber auch durch viele körperliche Anzeichen bemerkbar machen. Sehr häufig treten bei Kaninchen Verdauungsprobleme in akuten Stresssituationen auf. Ebenso ist Enzephalitozoonose (E.C.) eine typische Krankheit, die vor allem dann auftritt, wenn das Kaninchen massiv gestresst ist. Viele Kaninchen (Schätzungen gehen bis zu 80 %) tragen den EC-Erreger in sich, jedoch kommt es nur unter bestimmten Bedingungen zum Ausbruch. Ähnlich verhält es sich mit Syphilis, wobei dort die Anzahl der Träger deutlich geringer ist. Weiterhin können bisher trockene chronische Schnupfer durch Stress einen neuen oder erstmaligen Schnupfenschub erleiden. Allgemein sind chronisch gestresste Kaninchen schmerzempfindlicher, leiden unter dem Erschöpfungszustand und die Fähigkeit Freude zu empfinden ist herabgesetzt. Durch die gestörten Vorgänge im Körper haben es auch Parasiten einfacher, sich einzunisten, ebenso können Magengeschwüre auftreten.

Stress verhindern
Stress lässt sich nicht immer vermeiden, ist aber manchmal auch zum Wohle des Tieres, z.B. beim Umzug in ein neues Zuhause oder beim Tierarztbesuch. Kaninchen sollten jedoch so wenig negativen Stress wie möglich ausgesetzt werden. Für den Halter bedeutet dies, eine möglichst artgerechte Umgebung mit mindestens einem Partner, ausreichend Platz und Rückzugs- und Buddelmöglichkeiten zu schaffen. Zudem sollte unnötiger Stress wie laute Geräusche und Gerüche, unnötiger Ortswechsel und Zwang vermieden werden. Der Umgang mit den kleinen Langohren muss stets behutsam und liebevoll sein. Der Halter muss sich bewusst machen, dass er sich für eine Tierart entschieden hat, die zu den Fluchttieren zählt und die vor allem leise leidet.


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