Wenn man sich ein wenig mit dem Verdauungssystem unserer Kaninchen auseinandersetzt, stößt man früher oder später auf den Begriff Caecotrophie. Jedoch wissen viele Kaninchenhalter nur, dass dieser Fachbegriff irgendwie mit dem Blinddarmkot unserer Tiere zusammenhängt. Wie genau dieser Prozess funktioniert und wie wichtig er für unsere Kaninchen ist, ist jedoch oft unbekannt.
Der folgende Infotext soll genauer über dieses Thema informieren und dabei Antworten auf folgende Fragen geben:
- Was ist Caecotrophie eigentlich genau und warum ist sie wichtig?
- Wie läuft diese spezielle Form der Verdauung ab?
- Wo ist der Haken bzw. welche Probleme können dabei auftreten?
Der Begriff Caecotrophie leitet sich aus den Begriffen Caecum, also Blinddarm, und Trophie (Ernährung) ab und ist eine Sonderform der Koprophagie, also dem Fressen von Kot. Hierbei wird regelmäßig eine besondere Form von Kot, der sogenannte Blinddarmkot, gefressen, wodurch die eigentlich schwer verdauliche pflanzliche Nahrung so gut wie möglich aufgeschlossen wird.
Demzufolge sind bei Kaninchen zwei verschiedene Arten von Kot zu unterscheiden. Und zwar zum einen der Hartkot, welcher die allgemein bekannten „Kaninchenköttel“ bezeichnet, die trocken sind und in erster Linie aus unverdaulicher Rohfaser bestehen und zum anderen den Weichkot bzw. Blinddarmkot, welcher nährstoffreich und feucht ist. Meist sind dabei mehrere Köttel traubenartig verklebt. Er wird nicht immer vollständig gefressen und wenn er im Gehege liegen bleibt, wird er oft mit Durchfall verwechselt. Dies geschieht dann, wenn die Kaninchen überversorgt mit Nährstoffen oder übergewichtig sind, Zahnprobleme, Darmparasiten oder Arthrose (die Bewegung zur Aufnahme des Blinddarmkots tut den Kaninchen weh) haben. In erster Linie ist der Blinddarmkot reich an den Vitaminen B und K und Rohprotein, welches in erster Linie aus Darmbakterien stammt (dazu später mehr).
Zuerst werden während der Verdauung Kohlenhydrate, Fette und Proteine in Magen und Dünndarm mithilfe von Enzymen aus Bauchspeicheldrüse und Gallenblase gespalten und die Produkte weitestgehend über die Darmwand aufgenommen.
Wie auch andere Säuger haben Kaninchen allerdings kein Enzym, das unverdauliche Bestandteile der Pflanzen spalten könnte (in erster Linie die Zellwand aus Cellulose, Hemicellulose und Lignin), welche aber nun einmal einen Großteil ihrer pflanzlichen Nahrung ausmachen. Daher wäre es äußerst ineffizient, die aufgenommene Rohfaser vollständig wieder auszuscheiden, ohne sie auch nur ansatzweise zu verdauen.
Daher haben Kaninchen ein sekundäres Verdauungssystem entwickelt, wobei Bakterien im Blinddarm die für das Kaninchen unverdaulichen Nahrungsbestandteile aufschließen und die Spaltprodukte zur Verfügung stellen. Daher bezeichnet man Kaninchen auch als Blinddarmfermentierer.
Das heißt, zuerst werden die meisten Bestandteile im oberen Verdauungstrakt mithilfe körpereigener Enzyme und anschließend die zunächst einmal unverdaulichen Bestandteile mithilfe von Mikroben im Blinddarm verdaut. Der Verdauungstrakt des Kaninchens ist also darauf ausgelegt, rohfaserreiche Wiese effektiv zu verwerten.
Der Blinddarm (Caecum) des Kaninchens ist verhältnismäßig sehr voluminös: Er ist ungefähr dreimal so groß wie der Magen und nimmt in etwa einen Drittel des gesamten Bauchraumes auf der rechten Körperseite ein. Er fungiert als Futterspeicher und Fermentationskammer.
Der hintere Hüftdarmabschnitt, also der Endabschnitt des Dünndarms mündet in den verdickten Anfangsteil des Blinddarms (Caecum), die sogenannte Ampulla caecalis coli, welche demzufolge eine Verbindung zwischen Dünndarm, Blinddarm und dem restlichen Dickdarm darstellt.
Der Blinddarm bildet eine Darmspirale, die innen zahlreiche Poschen aufweist. Dabei handelt es sich um Ausbuchtungen, welche die Oberfläche der Darmschleimhaut vergrößern, welche zur Aufnahme der Spaltprodukte befähigt ist. Die Blinddarmschleimhaut hat vor allem Transporter für Elektrolyte und flüchtige Fettsäuren, welche bei der mikrobiellen Fermentation der Rohfaser (= Bakterien schließen Zellwandbestandteile auf) vorwiegend anfallen. Schließlich endet das Caecum mit einem Blindsack, der sogenannten Appendix. Hier finden sich vor allem Lymphzellen zur Immunabwehr.
Nachdem die enzymatische Verdauung in Magen und Dünndarm abgelaufen ist, wird die Nahrung über die Ampulla caecalis coli in den Anfangsteil des Grimmdarms, also dem Teil des Dickdarms, der auf den Blinddarm folgt, befördert.
Hier werden die Futterpartikel in zwei Gruppen aufgeteilt und entsprechend weiter transportiert. Größere, in keinem Fall weiter verdauliche Partikel (über 3mm) werden weiter transportiert und als Hartkot ausgeschieden, wohingegen kleinere, noch verdauliche Partikel (unter 3mm) zurück in den Blinddarm wandern, wo Bakterien die Bestandteile zerlegen (= Fermentationsphase).
Dabei werden v.a. flüchtige Fettsäuren, B-Vitamine und Aminosäuren gebildet, welche direkt über die Blinddarmschleimhaut aufgenommen werden und in die Blutbahn gelangen können.
Ein weiterer, recht großer Bestandteil an wertvollen Nährstoffen (v.a. mikrobielles Protein aus den Bakterien) verbleibt jedoch im Nahrungsbrei und kann die Dickdarmwand nicht passieren, da die hierfür notwendigen Transporter nur im Dünndarm vorhanden sind. Der Nahrungsbrei kann das Verdauungssystem nicht rückwärts passieren, daher lautet die Lösung des Problems: Die Kaninchen müssen die nährstoffreiche Paste nochmal fressen. Die Blinddarmpaste wird also weiter transportiert und als Weichkot ausgeschieden, welchen die Kaninchen dann meist direkt vom After wieder aufnehmen.
Der Grimmdarm (Colon) schließt sich an den Blinddarm an und ist wichtig für Hartkot- & Weichkotphase, also wann welcher Kot ausgeschieden wird.
Den Großteil der Zeit separiert das aufsteigende Colon große unverdauliche und kleine weiter verdauliche Teile (s.o.), welche dann entweder als Hartkot direkt ausgeschieden oder in den Blinddarm zurück transportiert werden, wo sie zu Blinddarmkot (Zäkotrophe) verarbeitet werden. Die Zäkotrophe wird dann im Colon zu weichen Kotbällchen umgeformt und das Enzym Lysozym zersetzt Eiweißstoffe der Bakterien, welche aus dem Caecum mit ausgeschwemmt werden. Daher ist der Blinddarmkot sehr eiweißreich. Zum Schluss wird er noch von einer feuchten Muzin-Schicht umschlossen, welche die Kotbällchen zusammenhaften lässt. Außerdem schützt sie vor der Magensäure, da die Zäkotrophe den Magen ja noch einmal passieren muss und auf diese Weise gehen die wichtigen Nährstoffe auf ihrem Weg zum Dünndarm nicht verloren.
Während dieser Zeit ist die reguläre Blinddarmmotorik stark reduziert. Das eben beschriebene Prozedere der Bildung der Zäkotrophe findet nur 1-2 mal am Tag während der Ruhephasen statt.
Die Hartkotphase überwiegt also deutlich. Vor allem während der Nahrungsaufnahme ist die Muskulatur des Blinddarms aktiv. Größere, unverdauliche Fasern gelangen dadurch in die Darmmitte. Haben sich genug unverdauliche Partikel angesammelt, werden diese rasch weiter transportiert. Im absteigenden Colon und dem Mastdarm wird der Masse dann Wasser entzogen und es entsteht die typische Form der „Kaninchenköttel“, die gleich darauf ausgeschieden werden. Sogar mit bloßem Auge sind dabei die grobfaserigen Futterpartikel zu erkennen. Obwohl die groben, unverdaulichen Partikel einfach nur möglichst schnell ausgeschieden werden sollen, haben sie eine wichtige Funktion: Sie stimulieren die Motorik der Muskulatur des Magen-Darm-Traktes. Bleibt diese aus oder wird deutlich weniger, begünstigt dies Erkrankungen.
Entsprechend der jeweiligen Phase der Kotbildung ändert sich auch der Wasser-, Elektrolyt- und Nährstoffaustausch über die Darmwand, um den jeweiligen Kot bilden zu können.
Hart- und Weichkotphase werden durch verschiedene Mechanismen zeitlich aufeinander abgestimmt.
Zum einen fungiert der sogenannte Fusus coli, ein Darmabschnitt mit besonders vielen Nerven, der nur bei Hasenartigen vorhanden ist, als Schrittmacher für die Darmmotorik. Dabei wirken verschiedene Hormone auf diesen Teil des Darms. Das Stress-Hormon Kortisol spielt in diesem Zusammenhang eine sehr große Rolle, was auch erklärt, warum Stress stets Magen-Darm-Erkrankungen begünstigt.
Außerdem steuert das Hormon Aldosteron aus der Nebennierenrinde die Kotbildung. Während aktiver Phasen wird besonders viel Aldosteron ausgeschüttet, wodurch viel Natrium über die Darmwand aufgenommen wird. Dieses zieht Wasser mit sich, dem Nahrungsbrei wird also viel Wasser entzogen und es entsteht Hartkot. Umgekehrt läuft der Mechanismus während der Ruhephasen ab: Nun wird wenig Aldosteron ausgeschüttet, demzufolge bleiben Natrium und damit Wasser überwiegend im Nahrungsbrei. Es wird also der wasserreiche Weichkot ausgeschieden.
Hat man den Prozess der Caecotrophie einmal verstanden, merkt man recht schnell, was für ein kluges System dieses oft als abstoßend empfundene Kot-Fressen eigentlich ist.
Allerdings gibt es auch einige negative bzw. empfindliche Punkte, die die Caecotrophie mit sich bringt, die hier nicht außen vor gelassen werden sollen.
Beispielsweise stellt die Caecotrophie auch ein gewisses Gesundheitsrisiko dar. Denn wenn Kaninchen mit Darmparasiten befallen sind, werden deren Oozysten mit dem Kot ausgeschieden. Fressen die Kaninchen diesen Kot, infizieren sie sich ständig wieder selbst.
Ist ein Kaninchen übergewichtig, hat es zahlreiche Fettablagerungen im Bauchraum, welche viel Volumen einnehmen und folglich den Blinddarm verdrängen. Dieser kann seiner Funktion nur noch eingeschränkt nachkommen und es kommt zu Verdauungsproblemen.
Bei längerem Verzehr stärkereicher Nahrung (z.B. industrielles Fertigfutter ) sinkt der pH-Wert im Darm, woraufhin sich die bakterielle Besiedlung unausweichlich verändert: „Gute“ Bakterien, die für die Fermentation wichtig sind, können unter diesen Bedingungen nicht überleben und sterben ab. Stattdessen nehmen schon bald pathogene Keime deren Platz ein (Dysbakerie) und es kommt zu Verdauungsbeschwerden, wie z.B. Durchfall.
Aufgrund der Dysbakerie kommt es dann regelmäßig zu Fehlgärungen, woraufhin sich die Appendix des Blinddarms zunehmend vergrößert. Vermutlich versucht das darin enthaltene lymphatische Gewebe, die Vermehrung der pathogenen Keime zu kompensieren.
Sind in Fertigfutter dann noch alle unverdaulichen Bestandteile klein gemahlen (Pellets), werden sie vom Colon allesamt in die Kategorie „unter 3mm“ einsortiert und gelangen somit in den Blinddarm. Aufgrund der Menge kommt es schon bald zur Futteranschoppung und die Blinddarmmotorik ist gehemmt.
Natürlich kann industrielles Fertigfutter neben den oben genannten Problemen im Darm auch Auswirkungen auf den Magen haben, z.B. eine Magenüberladung. In solch einem Fall wartet der Kaninchenhalter dann nach dem Tierarztbesuch angespannt auf Kot, um so festzustellen, dass die Verdauungsorgane wieder beginnen, richtig zu arbeiten. Findet man allerdings Blinddarmkot im Gehege eines Kaninchens, welches unter einer Magenüberladung leidet, ist dies leider noch kein Grund zum Aufatmen, denn der Blinddarmkot kommt ja aus dem Blinddarm und damit hat der Magen erst einmal nichts zu tun. Also zeigt Blinddarmkot hier nur, dass die Produktion von Caecotrophe funktioniert. Währenddessen kann der Magen aber immer noch überladen sein.
Ihr besonderes Verdauungssystem macht Kaninchen also offensichtlich besonders anfällig für Verdauungsprobleme. Umso wichtiger ist es daher, diesen mit möglichst naturnaher Ernährung entgegenzuwirken.